Freitag, 26. August 2016

Sexualität / Können Menschen mit Demenz sexuelle Übergriffe machen?

 
Diese, ich gebe zu, provozierende Frage, ist durchaus ernsthaft zu diskutieren.

 Dies ist die Geschichte dahinter: In einem Heim lebt ein Mann, der immer wieder vorbeigehenden Pflegerinnen einen Klaps auf den Hintern gibt. Wenn er herumgeht, fasst er – als wäre es das Normalste der Welt – Frauen an die Brüste.

Was ist zu tun?

Die Mitarbeiterinnen der betreffenden Station fragten nach, wie sie mit diesen «sexuellen Übergriffen» umgehen sollten. Da bei alzheimer.ch guter Rat eben nicht teuer ist, haben wir ein paar Überlegungen dazu angestellt.
Zuerst ist die Begriffsfrage zu klären  Was ist ein «sexueller Übergriff», oder, wie Wikipedia es nennt, eine «sexuelle Belästigung»? Diese Begriffe nehmen nur die Sichtweise des Opfers ein. Ob die andere Person diese Belästigung überhaupt mit einer Absicht tut oder nicht, steht dabei nicht zur Debatte.
Wenn die Fähigkeiten des Denkens und Reflektierens krankheitsbedingt nachlassen, kann es zu einer Enthemmung kommen.

Das Bewusstsein, dass man Menschen mit Respekt behandeln und gewisse Dinge nicht tun soll, schwindet zunehmend. Logischerweise kann es dadurch auch zu einem Kontrollverlust kommen.

Der Mann fasst das Objekt seiner Begierde an, ungehemmt, mit Lust und Freude. Mann wäre fast geneigt, von einem subjektiven Krankheitsgewinn zu sprechen – traut es sich aber nicht. Und es geht in den allermeisten Fällen überhaupt nicht um mehr. Es geht «nur» um diesen kurzen Moment der Berührung von Po oder Brust. Und das kann ein Lustgewinn sein – aber nur für den Mann.

Ich habe ältere Mitarbeiterinnen befragt. Ich diskutierte mit ihnen, wie sie damit umgegangen sind und heute damit umgehen.

 Es zeigte sich, dass das Nichtdramatisieren solcher Momente früher zum Alltag gehörte. Es sind die starken Frauen, nicht die schwachen, die damit auch in irgendeiner Weise «grosszügiger» umgehen können. Durch einen nachsichtigen Umgang kann sich eine Situation eher entspannen.
Wenn sofort von sexuellem Übergriff gesprochen wird, nimmt eine ganze Reihe von Massnahmen ihren Anfang. Männer mit Demenz sind keine geschlechtslosen Männer. Sie empfinden Lust. Dass Lust da ist, um sie zu erfahren, das ist das Schöne daran. Wenn die innere Kontrolle krankheitsbedingt fehlt:  

Wie soll ein Mann seine Lust bremsen können, wenn er das Gefühl der Lust nicht einmal benennen kann?

Wir tun ja so Vieles dafür, dass Menschen mit Demenz ihr Leben leben können, dass sie sich als Mann oder Frau erfahren können. 

Aber was tun wir wirklich dafür, was konkret?

Und wollen wir nicht in der Pflege den Menschen nahe sein, Emotionalität spüren lassen? Wenn das gut gelingt, heisst dann Beziehung nicht auch Berührung?

So wie ich mir Berührung wünsche und wie ich annehme, dass die Frau auch diese Berührung möchte.

Und da kann das Anfassen von Po und Brust ja durchaus sehr liebevoll gemeint sein. Aber eben: Als wen, oder als was nimmt der Mann mit Demenz mich wahr? Und spielt das eine Rolle? Scheinbar eben nicht.
Und noch ein Gedanke: In einer Zeit, in der alles sexualisiert ist, von Werbung über Medien und allgegenwärtige Bilderflut, müssen wir vielleicht nicht ganz so scheinheilig tun, dass das alles keinen Reiz ausstrahlen darf auf den Mann. Es tut es einfach.  

Und bei fehlendem Bewusstsein, was man nicht darf, darf Mann das dann halt. Direkt, sofort und unmittelbar. Was rate ich in dem oben beschriebenen Fall? Deutlich sagen, dass man das nicht möchte.

Grosses Theater dabei sein lassen. In der Gruppe die Thematik aufnehmen. Niemand soll sich berühren lassen müssen, der es nicht will. Und daran denken, dass es auch noch die andere Seite gibt.


Mehr auf:
http://alzheimer.ch/index.cfm/de/alltag/schwierige-situationen/magazin-detail/114/koennen-menschen-mit-demenz-sexuelle-uebergriffe-machen/

http://alzheimer.ch/index.cfm/de/blog/blog-detail/6/sexualitaet/

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