Textauszug aus: "Dement, aber nicht bescheuert"
Michael Schmieder, Uschi Entenmann.
Erschienen bei Ullstein Buchverlage
Menschen mit Demenz leben im Hier und Jetzt
Eine Demenz wird vor allem am Vergessen
gemessen, viel weniger an den oft deutlich sichtbaren
Verhaltensstörungen. Warum wird versucht, diesem Vergessen mit allen
Mitteln entgegenzuwirken? Kann der Verlust von Erinnerungen nicht
vielleicht auch zu paradiesischem Erleben führen? Kann Vergessen nicht
auch Distanz schaffen zu dem, was als nicht erinnerungswürdig empfunden
wird? Menschen mit Demenz leben im Hier und Jetzt, wobei oft unklar ist,
wann in ihrem bisherigen Leben ihr Hier und Jetzt angesiedelt ist. Wir
Gesunden leben selten im Hier und Jetzt. Wir lenken uns mit immer mehr
Geräten und Medien davon ab. Zum Beispiel, wenn wir einen
Sonnenuntergang auf Facebook posten oder in der Pause eines Konzerts
unseren Maileingang checken. Die Fähigkeit zu planen, macht es uns
möglich, uns mit der Zukunft zu befassen und sie zu gestalten.
Vielleicht wirkt es deshalb so bedrohlich auf uns, wenn Menschen nur im
Hier und Jetzt leben, weil es uns zum einen zeigt, wie wenig wir das
können, zum anderen, dass wir die Erinnerung nicht brauchen, um Mensch
zu sein?
Da wir die Möglichkeit des Erinnerns so
hoch bewerten und den Auswirkungen der Erkrankung deshalb oftmals
hilflos gegenüberstehen, setzen wir – Betreuer wie Angehörige – die
Bemühungen im Umgang mit Dementen oft dort an, wo sie uns am
sinnvollsten erscheinen. Wir bewerten Lebensereignisse auf unserer
eigenen Skala, teilen sie auf in die guten und die schlechten. Und dann
zeigen wir alte Fotos, singen alte Lieder, schauen alte Filme, weil wir
meinen, was uns gefällt, wird auch den demenzkranken Menschen gefallen.
Weiter auf:
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen