Diese, ich gebe zu, provozierende Frage, ist durchaus ernsthaft zu diskutieren.
Dies ist die Geschichte dahinter: In einem Heim lebt ein Mann, der
immer wieder vorbeigehenden Pflegerinnen einen Klaps auf den Hintern
gibt. Wenn er herumgeht, fasst er – als wäre es das Normalste der Welt –
Frauen an die Brüste.
Was ist zu tun?
Die Mitarbeiterinnen der betreffenden Station fragten nach, wie sie
mit diesen «sexuellen Übergriffen» umgehen sollten. Da bei alzheimer.ch
guter Rat eben nicht teuer ist, haben wir ein paar Überlegungen dazu
angestellt.
Zuerst ist die Begriffsfrage zu klären Was ist ein «sexueller
Übergriff», oder, wie Wikipedia es nennt, eine «sexuelle Belästigung»?
Diese Begriffe nehmen nur die Sichtweise des Opfers ein. Ob die andere
Person diese Belästigung überhaupt mit einer Absicht tut oder nicht,
steht dabei nicht zur Debatte.
Wenn die Fähigkeiten des Denkens und Reflektierens krankheitsbedingt nachlassen, kann es zu einer Enthemmung kommen.
Das Bewusstsein, dass man Menschen mit Respekt behandeln und gewisse Dinge nicht tun soll, schwindet zunehmend. Logischerweise kann es dadurch auch zu einem Kontrollverlust kommen.
Der Mann fasst das Objekt seiner Begierde an, ungehemmt, mit Lust und
Freude. Mann wäre fast geneigt, von einem subjektiven Krankheitsgewinn
zu sprechen – traut es sich aber nicht. Und es geht in den allermeisten
Fällen überhaupt nicht um mehr. Es geht «nur» um diesen kurzen Moment
der Berührung von Po oder Brust. Und das kann ein Lustgewinn sein – aber
nur für den Mann.
Ich habe ältere Mitarbeiterinnen befragt. Ich diskutierte mit ihnen, wie sie damit umgegangen sind und heute damit umgehen.
Es zeigte sich, dass das Nichtdramatisieren solcher Momente früher zum
Alltag gehörte. Es sind die starken Frauen, nicht die schwachen, die
damit auch in irgendeiner Weise «grosszügiger» umgehen können. Durch
einen nachsichtigen Umgang kann sich eine Situation eher entspannen.
Wenn sofort von sexuellem Übergriff gesprochen wird, nimmt eine ganze
Reihe von Massnahmen ihren Anfang. Männer mit Demenz sind keine
geschlechtslosen Männer. Sie empfinden Lust. Dass Lust da ist, um sie zu
erfahren, das ist das Schöne daran. Wenn die innere Kontrolle
krankheitsbedingt fehlt:
Wie soll ein Mann seine Lust bremsen können, wenn er das Gefühl der Lust nicht einmal benennen kann?
Wir tun ja so Vieles dafür, dass Menschen mit Demenz ihr Leben leben können, dass sie sich als Mann oder Frau erfahren können.
Aber was tun wir wirklich dafür, was konkret?
Und wollen wir nicht in der Pflege den Menschen nahe sein,
Emotionalität spüren lassen? Wenn das gut gelingt, heisst dann Beziehung
nicht auch Berührung?
So wie ich mir Berührung wünsche und wie ich annehme, dass die Frau auch diese Berührung möchte.
Und da kann das Anfassen von Po und Brust ja durchaus sehr liebevoll
gemeint sein. Aber eben: Als wen, oder als was nimmt der Mann mit Demenz
mich wahr? Und spielt das eine Rolle? Scheinbar eben nicht.
Und noch ein Gedanke: In einer Zeit, in der alles sexualisiert ist,
von Werbung über Medien und allgegenwärtige Bilderflut, müssen wir
vielleicht nicht ganz so scheinheilig tun, dass das alles keinen Reiz
ausstrahlen darf auf den Mann. Es tut es einfach.
Und bei fehlendem Bewusstsein, was man nicht darf, darf Mann das dann halt. Direkt, sofort und unmittelbar. Was rate ich in dem oben beschriebenen Fall? Deutlich sagen, dass man das nicht möchte.
Grosses Theater dabei sein lassen. In der Gruppe die Thematik
aufnehmen. Niemand soll sich berühren lassen müssen, der es nicht
will. Und daran denken, dass es auch noch die andere Seite gibt.
Mehr auf:
http://alzheimer.ch/index.cfm/de/alltag/schwierige-situationen/magazin-detail/114/koennen-menschen-mit-demenz-sexuelle-uebergriffe-machen/
http://alzheimer.ch/index.cfm/de/blog/blog-detail/6/sexualitaet/
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