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Dienstag, 10. März 2015

Umgang mit Alzheimer So sieht das Vergessen aus

von Regine Warth

Von Kritikern wurde der Kinofilm, in dem Juliane Moore eine Alzheimer- Patientin­ darstellt, gefeiert. Wir haben die Alzheimer- und Krebsforscherin Viola Nordström eingeladen, sich den Film für die Stuttgarter Nachrichten anzusehen. Sie erklärt, warum es noch mehr Filme wie „Still Alice“ braucht.


Stuttgart - Frau Nordström, hat Hollywood-Star Julianne Moore den Oscar für ihre Darstellung als Alzheimer-Patientin Alice verdient? 
 
Ja, in jedem Fall. Ich fand, es war eine sehr empathische und einfühlsame Darstellung des Lebens einer Alzheimer-Patientin. Julianne­ Moore hat der Figur Alice sehr viel Würde verliehen. 
 
Wie gehen Menschen damit um, wenn sie die Diagnose Alzheimer bekommen? 
 
Viele haben ja schon eine Ahnung, dass irgendetwas­ mit ihnen nicht stimmt. Dass beispielsweise ihre Vergesslichkeit über den Punkt hinausgeht, bis zu dem man diese noch als Schusseligkeit abtun könnte. Etwa, wenn man wie im Fall von Alice beim Joggen auf bekannten Wegen die Orientierung verliert. Oder wenn einem alltägliche Wörter nicht mehr einfallen. Anfangs versuchen viele das zu überspielen. 
 
Auch Alice kaschiert ihre zunehmende Vergesslichkeit zunächst mit Witzen.
Ja, das wird im Film gut dargestellt. Anfangs funktioniert das ja auch noch. Aber dann kommt doch die Angst, dass diese Vergesslichkeit nicht normal ist. Teils gehen Betroffene dann zum Arzt, teils werden sie von Angehörigen geschickt, weil denen die Veränderungen auch nicht verborgen bleiben. Wenn sie dann vom Arzt hören, dass sie an einer Demenz wie eben Alzheimer leiden, ist das trotzdem ein Schock. 
 
Wie sicher kann denn ein Arzt eine Alzheimer-Demenz nachweisen? 
 
Wenn jemand mit den typischen Symptomen eines präklinischen Stadiums – also aufgrund von Wortfindungsstörungen und zunehmender Orientierungsschwäche – zum Arzt geht, werden erst mal neurologische Tests gemacht. So wie es auch im Film dargestellt wird. Es werden recht einfache Fragen zur zeitlichen und räumlichen Orientierung gestellt, die Testperson muss Gegenstände oder Tiere erkennen und benennen. Die Antworten werden dann mit Hilfe eines Punktesystems bewertet. Daran kann ein Arzt eine erste Verdachtsdiagnose stellen, die über weitere klinische Tests wie beispielsweise eine Kernspintomografie gesichert wird. Da spiegelt der Film sehr gut die Realität wider. 
 
Bei Alice werden Eiweißablagerungen im Gehirn nachgewiesen, die als typische Alzheimer-Anzeichen­ gelten. Gleichzeitig wird gewarnt: Nicht jeder, der solche sogenannten Plaques hat, ist automatisch ein Alzheimer-Patient. Wie ist das zu erklären? 
 
Es gibt Fälle – mir fällt da eine Studie mit Nonnen ein –, da wurden solche Eiweiß­ablagerungen, also Plaques, in Gehirnen nachgewiesen. Doch die Betroffenen hatten keinerlei kognitive Beeinträchtigungen. Die Anzahl der Plaques an sich ist also kein sicheres Kriterium dafür, dass man in jedem Fall eine Demenz entwickelt. In der Forschung geht man davon aus, dass es die Vorstufen dieser Ablagerungen sind, die auf die Nervenzellen im Gehirn toxisch wirken. Man nennt diese Oligomere. Diese finden sich weitaus früher bei Demenzpatienten. Allerdings sind sie nur mit Methoden nachzuweisen, die der Wissenschaft vorbehalten sind. Für Kliniken sind diese Tests noch nicht geeignet. 
 
Weiter auf:
http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.umgang-mit-alzheimer-so-sieht-das-vergessen-aus.fd1fc51d-3e59-434d-9b64-d74e3f61a927.html

Mittwoch, 18. Februar 2015

Zuwendung – ohne Bevormundung

Demenzkranke wollen respektiert und gemocht werden. Wie alle anderen Menschen auch

Karoline Amon im Gespräch mit Prof. Dr. Joachim ­Bauer.

chrismon: Sollten Menschen zum Arzt gehen, wenn sie das Gefühl haben, vergesslicher zu werden?

Prof. Dr. Joachim Bauer: Nein. Die Neigung zur Vergesslichkeit nimmt bei fast allen Menschen über 50 etwas zu. Die häufigste Ursache ist, auch bei Jüngeren, Alltagsstress. Wenn aber tatsächlich Anzeichen für eine über Wochen oder Monate anhaltende, deutliche Störung der geistigen Leistungsfähigkeit vorliegen, sollte man das klären. Wichtig ist vor allem, herauszufinden, ob vielleicht ein Vitamin-B-Mangel vorliegt, eine Funk­tionsstörung der Schilddrüse oder eine Depression – diese Störungen wären gut behandelbar. Man sollte sich nicht verrückt machen. Besonders schlimm ist, wenn ältere Menschen, denen ein Fehler unterlaufen ist, von ihren Angehörigen mit der Angst vor Alzheimer traktiert werden.

Wenn sich die Vermutung bestätigt – was hilft einem die Diagnose?

In der Frühphase einer Alzheimerkrankheit bringt sie nur Nachteile: Der Patient wird stigmatisiert und erhält nebenwirkungsreiche Medi­ka­mente, deren positive Effekte von der Pharmaindustrie und vielen Ärzten übertrieben dargestellt werden. Den Erkrankungsverlauf scheinen sie aber nicht wesentlich aufzuhalten.

Gibt es denn Medikamente, die ein Fortschreiten der Krankheit verzögern?

Von einigen Mitteln wird behauptet, sie verzögerten den Erkrankungsverlauf um etwa sechs Monate. Aufgrund meiner eigenen Beobachtungen an Patienten, die diese Mittel nahmen, fällt es mir schwer, an diesen Effekt zu glauben.

Würden Sie Patienten raten, an einer medizinischen Studie teilzunehmen?

Derzeit gibt es in der Forschung keine Substanzen, von denen ich mir eine Wirksamkeit versprechen würde. Sinnvoll fände ich zu erforschen, inwieweit eine Veränderung des Lebensstils den Verlauf abbremsen kann. Ich denke vor allem an gesunde, vitaminreiche Ernährung, an Sport und an eine soziale Aktivierung der Patienten. Alzheimerkranke sollten nicht isoliert leben, sondern gemeinsam mit ­anderen spielen, singen, wandern.

Weiter auf:
http://chrismon.evangelisch.de/artikel/2015/zuwendung-ohne-bevormundung-30837

Donnerstag, 12. Februar 2015

Gehirnjogging? Bringt nix

Manche gehen mit Mitte 50 in die mentale Frührente, andere drehen auf. Neuropsychologe Martin Meyer erklärt, wie man im Job fit bleibt, warum Motivation viel bewirkt - und Gehirntraining wenig. 

 KarriereSPIEGEL: Plötzlich fällt einem das Passwort für den Computer nicht mehr ein, oder der Name des neuen Kollegen ist weg. Sind das schon Anzeichen dafür, dass das Hirn altersmäßig abbaut? 

Meyer: Nein, das muss nicht unbedingt altersbedingt, sondern kann auch eine Folge von Stress sein. Nur das weiß man eben nicht. Tatsache ist, dass die Gehirne von gesunden Menschen ab dem 60. Lebensjahr zum Teil erhebliche Anzeichen des Abbaus von Gehirnsubstanz und andere degenerative Spuren aufweisen. Das gehört einfach zum normalen Alterungsprozess. Dennoch treffen wir bei unseren Studien auf viele ältere Menschen, die bemerkenswerte kognitive Leistungen zeigen.

KarriereSPIEGEL: Wie lässt sich das erklären?

Meyer: Man weiß heute, dass das Gehirn kein statisches Gebilde ist, sondern sich bis ins hohe Alter verändert und umbaut, um einem drohenden Leistungsabbau entgegenzuwirken. Es gibt also so etwas wie eine kognitive Reserve, um unsere geistigen Fähigkeiten noch länger zu erhalten. Denn unser Gehirn ist kein Computer, sondern ein neuronales Netzwerk. Man kann das mit dem S-Bahn-Netz von Berlin vergleichen: Da gibt es stark befahrene Hauptverbindungen, langsame Nebenstrecken und etliche Umsteigebahnhöfe. Solche Knotenpunkte haben wir auch im Gehirn. Dort werden die Informationen verteilt. Mit zunehmendem Alter beginnen sich jedoch einige dieser Verteilerknoten aufzulösen. Die Informationen müssen sich daher andere Wege suchen. Manchmal dauert es dann länger, um ans Ziel zu kommen.

KarriereSPIEGEL: Man braucht also mehr Geduld?

Meyer: Vor allem mehr Gelassenheit und weniger Hysterie. Wir sind nun mal Menschen, keine Maschinen, die man einfach reparieren kann, indem man ein Ersatzteil einbaut. Wir reagieren psychologisch. Wir stellen fest, dass etwas nicht mehr funktioniert, und bekommen Angst. Die wirkt dann oft wie eine zusätzliche Bremse. Wenn mir eine Telefonnummer nicht mehr einfällt, sollte ich daraus keinen Staatsakt machen, sondern das akzeptieren und sie eben auf einen Zettel schreiben.

KarriereSPIEGEL: Können wir dank kognitiver Reserve künftig alle länger arbeiten?

Meyer: Nein, Unternehmen müssen sich vom Gedanken verabschieden, dass man alle mitziehen kann. Es gibt keine allgemein gültige Regel. Mit zunehmendem Alter geht die Schere innerhalb einer Altersgruppe immer weiter auf. Manche verabschieden sich schon mit Mitte 50 in die mentale Frühpension, die kann man auch nicht mehr zurückholen. Andere blühen mit 65 erst richtig auf und promovieren oder lernen eine neue Sprache.

KarriereSPIEGEL: Es kommt also auch auf die Motivation an?

Meyer: Die Bedeutung von Motivation, Neugier und persönlicher Identifikation mit dem Beruf kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. In unseren Studien zum gesunden Altern hatten wir mit einem 80-Jährigen zu tun, der beim Tempo der Informationsverarbeitung - also einem klassischen Indikator für kognitives Altern - viel besser abschnitt als manche unserer Master-Studierenden. Als Grund dafür gab er an, dass ihn Lernen und Neues immer noch fasziniere. Motivation und ein höheres Selbstwertgefühl können sich unmittelbar positiv auf die kognitiven Leistungen auswirken und damit zur Fitness des Gehirns im Alter beitragen.

KarriereSPIEGEL: Was ist mit einem Gehirntraining - hilft das?

Weiter auf:
http://www.spiegel.de/karriere/berufsleben/neuropsychologe-ueber-das-altern-sudokus-helfen-nicht-a-1017774.html

Montag, 19. Januar 2015

„Kunstwerke bieten eine Geschichte an“

Von Jan-Philipp Schlecht, 11.01.2015

Sie haben sich Inklusion zur Lebensaufgabe gemacht: Die Gründer der Initiative Rosen-Resli vermitteln seit acht Jahren Kunst an Menschen mit Demenz. Eine schwierige Aufgabe, die aber erstaunlich positive Effekte hat.

Stuttgart - Hans-Robert Schlecht, Menschen mit Demenz und Museen – wie passt das zusammen?
Museen sind bei der Vermittlung von Kultur an Menschen mit Demenz die Königsdisziplin. Dort können die Betroffenen kommunizieren, können mitmachen, etwas tun. Viele Kunstschaffende denken ja, diese Menschen könnten gar nichts mehr und seien vollkommen passiv. Das haben wir ­anfangs auch gedacht, wurden aber schnell eines Besseren belehrt.
Inwiefern?
Bei vielen Demenzkranken sind das Gehirn und der Verstand beeinträchtigt. Die Emotionen sind aber noch voll da. Die Gefühle kommen unkontrolliert, ohne dass der Verstand vorher eingeschaltet wird. Da ist eine Sperre weg – positiv wie negativ. Deshalb haben die ­Menschen auch einen unmittelbaren Zugang zur Kunst
Da treten sicher spannende Dinge zutage?
Als meine Mutter noch gelebt hat, waren wir mit ihr und einer Gruppe von Dementen in der Staatsgalerie und saßen im Kreis um die Skulptur „Der gefallene Mann“ von Wilhelm Lehmbruck. Dabei handelt es sich um die lebensgroße Statue eines Mannes, der in gebückter Haltung über den Boden kriecht. Und dann kam eine ganz spontane Reaktion von meiner Mutter, die sagte: Der hat aber einen schönen knackigen Hintern! (lacht) 
Das kam in der Tat unverhofft.
Sie sehen: Es geht dabei nicht um kunsthistorische Betrachtungsweisen, sondern es geht darum, Geschichten zu erzählen. Das Beispiel täuscht allerdings ein wenig darüber hinweg: Alles in allem ist die Kulturvermittlung für Menschen mit Demenz eine schwierige Aufgabe. Aber wir wollen den Menschen die Chance geben, sich mit Kultur zu beschäftigen. Und die finden das toll, ­gerade weil es über Gefühle funktioniert. 
Gibt es dabei auch traurige Momente?
Als ich mal mit einer Betroffenen durch ein Museum ging, war sie plötzlich von einem Bild völlig gefangen. Es zeigte eine Szene in den Bergen, und die Frau fing auf einmal an, von ihrem Mann zu erzählen – ­offensichtlich war sie mit ihm früher viel in den Bergen unterwegs. Allerdings war er schon gestorben, weswegen sie anfing zu weinen. Auch solche Reaktionen kann die Kunst auslösen. 
Wie gehen Sie mit solchen Situationen um?
Deshalb wird jeder Besucher bei uns immer von einer ausgebildeten Kraft begleitet – von uns Co-Pilot genannt. Die wissen, wie am besten mit solchen Situationen umzugehen ist. Außerdem achten wir darauf, dass die Gruppen immer so zwischen sechs bis acht Teilnehmer haben, die jeweils individuell betreut werden. 
Sie waren mit die Ersten in Deutschland, die Menschen mit Demenz und Kultur überhaupt erst zusammengebracht haben. Woher wussten Sie, ob und wie das überhaupt funktioniert?
Wir sind über einen Artikel in einer Kunstzeitschrift auf Dr. John Zeisel gestoßen. Er arbeitet als Dozent an namhaften Universitäten in den USA und war im Jahr 2006 ein Pionier in der Kunstvermittlung für Menschen mit Demenz. Das hat uns ­begeistert. Wir haben ihn kontaktiert, und ein paar Tage ­später hat er uns in Stuttgart besucht. 
Sie haben sich also fachliche Hilfe geholt?
Das war auch gut so. Zeisel hat uns ­beispielsweise gelehrt, dass diese besondere Art der Kunstvermittlung nur im ­Museum funktioniert. 
Weiter auf:
http://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.demenz-kunstwerke-bieten-eine-geschichte-an.7da8ec45-8403-411b-99a7-c93bc4be0701.html

Mittwoch, 7. Januar 2015

Was macht Kultur mit unserem Hirn?

Interview mit Gerhard Roth
Von Markus Reiter

Wenn wir Musik hören, ein Gemälde betrachten oder ein Buch lesen, löst dies eine ganze Reihe neurobiologischer Prozesse aus – welche, erklärt der Hirnforscher Gerhard Roth.

Die Leitwissenschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist die Hirnforschung. Kein Wunder also, dass sich die Wissenschaftler auch mit dem Verhältnis von Kunst und Gehirn beschäftigen. Der Neurobiologe Gerhard Roth, Professor für Verhaltensphysiologie an der Universität Bremen, verrät, was im Gehirn vor sich geht, wenn wir Kunst genießen.

Herr Professor Roth, lässt sich Kunstgenuss wirklich so einfach als feuernde Neuronen in  bestimmten Hirnarealen und als ausgeschüttete und andockende Botenstoffe beschreiben?
Im Prinzip schon. Es ist nicht ganz leicht, die Vorgänge im Gehirn beim Kunstgenuss im Einzelnen experimentell zu untersuchen. Aber es besteht kein Zweifel daran, dass immer, wenn wir Vergnügen an der Kunst empfinden, bestimmte Botenstoffe ausgeschüttet werden. Das sind in erster Linie hirneigene Opioide, also opiumähnliche Stoffe. Sie sind stets im Spiel, wenn wir etwas als schön empfinden. Wenn uns ein Musikstück oder ein Gemälde hingegen missfällt, kommen andere Botenstoffe zum Einsatz, zum Beispiel die Substanz P. Sie dockt an die Schmerzrezeptoren an. Musikalische Missklänge können also in der Tat körperliche Schmerzen auslösen.
Sind Bach und Mozart für unser Gehirn demnach nichts anderes als ein Cocktail an Neurotransmittern?
Ja. Aber das ist sehr vereinfacht gesagt. Besonders das Musikempfinden ist inzwischen von den Neurowissenschaften gut untersucht. Musik, die wir als schön empfinden, regt den Hypothalamus und die Hypophyse im Bereich des Zwischenhirns an, hirneigene Opioide zu produzieren. Diese docken an bestimmten Stellen des Gehirns an, vor allem im Nucleus accumbens tief in unserem Gehirn, aber auch im unteren Stirnhirn, wo uns Gefühle bewusst werden. Diese Neurotransmitter rufen ein Gefühl des Wohlbefindens hervor, das von stiller Freude bis Ekstase reichen kann. Zugleich wird vermehrt ein anderer Botenstoff im Hirnstamm produziert, das Serotonin. Dabei handelt es sich um einen Neurotransmitter mit vielerlei Wirkungen, der aber in diesem Falle einen beruhigenden Einfluss hat. Eine sehr stille, langsame Musik, die wir unter anderen Umständen sogar als langweilig empfinden würden, stimuliert nachweislich die Serotoninproduktion.
Andererseits macht eine Unterversorgung mit Serotonin aggressiv. Kann Kunst also auch Aggressionen auslösen?
Genauer gesagt: Menschen, die über zu wenige Andockstellen eines bestimmten Typs für Serotonin verfügen oder bei denen zu wenig Serotonin produziert wird, reagieren sehr schnell sehr aggressiv. Die Grundlagen dafür werden vor allem in der vorgeburtlichen und in der frühkindlichen Phase gelegt.
Über Geschmack kann man ja bekanntlich nicht streiten. 
Was die einen als Missklang empfinden, zum Beispiel atonale Musik, halten die anderen für schön. Wie kommt das? 
Das liegt daran, dass unser Gehirn in der Lage ist zu lernen und sich zu verändern. Deshalb finden einige Menschen nach längerer Zeit zum Beispiel Musik nicht nur von Bach, sondern auch von Schönberg schön. Dahinter steht ein Gewöhnungsprozess, der sehr stark kulturell geformt ist. Wir beobachten das auch im globalen Vergleich: Bestimmte Arten von Musik und Tonalität werden nur in bestimmten Kulturen als angenehm empfunden. Das liegt daran, dass die Menschen damit seit früher Jugend aufgewachsen sind. Hingegen empfinden fast alle Menschen auf der Welt, sofern sie einigermaßen musikalisch sind, Stücke von Mozart und Bach als schön.
Wie kommt das?
Es gibt offenbar universelle Kriterien der Schönheit. Dazu gehören in der Musik wie in der bildenden Kunst: Einfachheit, Klarheit und starke Kontraste. Bei Bach spricht die klare Gliederung Menschen universell an; bei Mozart ist es die anrührende Harmonie. Beethoven hingegen wird von vielen Zuhörern als provozierend empfunden, als zu auftrumpfend, zu fordernd. Aber das Gehirn verändert sich im Laufe des Lebens. Es lernt, neue Aspekte zu erkennen. Ich selbst konnte früher mit Richard Wagner nicht allzu viel anfangen. Inzwischen finde ich einige Opern faszinierend, vermutlich weil sie verschiedene Areale meines Gehirns aktivieren. Im funktionellen Magnetresonanztomografen, dem Gehirnscanner, lässt sich nachweisen, dass sich die Areale für Musik, zum Beispiel die Bereiche für die Gefühlsrepräsentation, vergrößern, je öfter und intensiver wir sie hören. Das führt dazu, dass ein Dirigent Misstöne der zweiten Geige heraushören kann, die einem weniger geschulten Laien entgehen. Übrigens: wenn wir selbst Musik machen, vergrößern sich die sensorischen und motorischen Areale. Wer einmal als Kind intensiv Klavierspielen gelernt hat, verlernt es nie völlig. Die Fähigkeit wurde in den tieferen Regionen des Gehirns, ins Fertigkeitengedächtnis in den Basalganglien, fest eingeschrieben.

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